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Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim G20-Dialogforum Wissenschaft (S20) am 22. März 2017 in Halle (Saale)

Anfang 22.03.2017

Sehr geehrter Herr Professor Hacker – ich schließe alle Kolleginnen und Kollegen von Ihnen aus den G20-Staaten oder deren Vertreter mit ein –,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Reiner Haseloff,
meine Damen und Herren,

ich danke ihnen erst einmal für die Arbeit, die Sie geleistet haben. Wissenschaft lebt von Neugier, von Forscherdrang, von der Freude am Entdecken. In der Wissenschaft knüpft der eine an die Erkenntnisse des anderen an. Genau das ist der Unterschied zur Politik. In der Politik kann man ruhig zwei oder drei Mal dasselbe sagen, weil man immer ein anderes Auditorium hat. Aber in der Wissenschaft wird erwartet, dass man das, was der Vorgänger gesagt hat, nicht wiederholt. In der Politik ist man manchmal froh, wenn zwei in einer Partei das Gleiche sagen. Reiner Haseloff weiß, wovon ich spreche.

In der Wissenschaft sind Austausch und Zusammenarbeit sehr wichtig. Offenheit und Vernetzung werden geradezu selbstverständlich gelebt. Das ist auch der Grund dafür, dass sich Wissenschaft einerseits als Treiber der Globalisierung darstellt und sie andererseits durch Globalisierung gewinnt. Die Tatsache, dass es Globalisierung gibt, macht auch wissenschaftliche Tätigkeit einfacher, normaler.

Vor 365 Jahren legten vier Ärzte den Grundstein für die Leopoldina, um den medizin- und naturwissenschaftlichen Austausch zu fördern. Miteinander zu kommunizieren, war damals im Zeitalter der Postkutschen noch etwas aufwendiger als heute im digitalen Zeitalter. Aber der Drang nach Wissen und Erkenntnis, der Drang, voneinander und miteinander zu lernen, war auch damals schon da. Damals wie heute galt und gilt: Nur wer sich weltoffen zeigt, wer sich über fachliche wie auch über räumliche Grenzen hinweg auf Zusammenarbeit einlässt, kann davon auch umfassend profitieren.

Das gilt im Grunde für die Wissenschaft ähnlich wie für die Wirtschaft. In beiden Bereichen sehen wir uns durch weltweit zunehmende Vernetzung zusehends gleichen Herausforderungen gegenüber. Entwicklungen auf der einen Seite des Globus haben mehr und mehr auch Auswirkungen auf der anderen Seite des Globus. Das gilt im positiven Sinne genauso wie im negativen Sinne. Eines der greifbarsten Beispiele war sicherlich die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise Ende des vergangenen Jahrzehnts.

Globalisierung findet statt. Wer versucht, sich ihr zu entziehen, wer auf Abschottung und Protektionismus setzt, mag sich davon vielleicht kurzfristig Vorteile versprechen. Klar ist für mich aber, dass dadurch mittel- und langfristig eine Schwächung der eigenen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit in Kauf genommen wird. In der Geschichte finden wir dazu übrigens sehr viele Beispiele.

In einer eng vernetzten Welt brauchen wir mehr denn je Antworten, die in sich stimmig sind und die sich in ihren Wirkungen nicht gegenseitig beeinträchtigen. Also: Globale Fragen benötigen auch globale Antworten. Die G20 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs – das will ich wiederholen – ist das Ergebnis der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2007, 2008 gewesen. Damals haben sich die Staats- und Regierungschefs zum ersten Mal auf der Ebene der G20 getroffen. Vorher war das ein Format der Finanzminister. Wir haben damals erlebt, dass unser gemeinsames Agieren – was sowohl die Regulierung der Banken als auch die Stimulierung der Weltwirtschaft anbelangt – es doch besser möglich gemacht hat, mit dieser weltweiten Krise fertigzuwerden.

Anfang Juli kommen nun die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der G20 in Hamburg zum Gipfel zusammen. Wir haben auch diesmal Gäste mit dabei. Das sind Vertreter regionaler Organisationen und Vertreter internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen, des IWF, der OECD, der Weltbank, der Internationalen Handelsorganisation und der Internationalen Arbeitsorganisation. Auch deshalb sind G20-Gipfel immer sozusagen ein globales Treffen. Wir haben jetzt auch die Wissenschaft sowie andere Bereiche der Zivilgesellschaft in den Gipfelprozess mit einbezogen. Gruppen der Zivilgesellschaft sind diesmal von Anfang an dabei – zum Beispiel die Vertreter der Wirtschaft oder auch der Gewerkschaften. Auch wegen der guten Erfahrungen des G7- bzw. G8-Prozesses hatten wir uns entschieden, in diesem Jahr auch auf G20-Ebene den Teilnehmerkreis zu erweitern.

Deshalb ist das heute sozusagen eine weltweite Premiere: das erste Treffen der Wissenschaftsakademien im Format der G20. Ich danke Ihnen für die zum Teil sehr weite und lange Anreise. Ich möchte mich bei Professor Hacker und seiner Mannschaft wie auch bei allen anderen Teilnehmern dafür bedanken, dass Sie sich entschieden haben, hier zusammenzukommen, das Treffen vorzubereiten, über die Themenpunkte nachzudenken, Schlussfolgerungen aufzuschreiben und das auch noch – dazu komme ich noch – in einer vernünftigen Sprache, die wir als Politiker verstehen können.

Neben der Wirtschaft und den Gewerkschaften haben wir auch Treffen mit Nichtregierungsorganisationen, mit Think Tanks, mit Frauen und mit jungen Menschen. So wirkt dieser G20-Prozesss auch in die Gesellschaft hinein.

Mit Blick auf die Wissenschaft ist klar, dass verantwortungsvolle Politik auf wissenschaftliche Empfehlung angewiesen ist. Das ist für uns in der nationalen Politik selbstverständlich. Deshalb holen wir uns auch immer wieder Rat von Wissenschaftlern. Ich würde sagen, das ist eine Bereicherung für die Politik.

Ich freue mich natürlich auch, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff hier ist und gesagt hat, dass auch seine Alltagsarbeit dadurch bereichert wird. Ich danke auch dem Land Sachsen-Anhalt dafür, dass es so ein gutes Gastland für die Nationale Akademie der Wissenschaften der Bundesrepublik Deutschland ist. Wenn das Budget schon für die nächsten zwei Jahre gesichert ist, dann ist das weitaus mehr, als ich für unsere budgetären Zusagen voraussagen kann. Also, herzlichen Glückwunsch.

Ich sprach vorhin an, dass Sie eine Stellungnahme erarbeitet haben. Es ist wichtig, dass die Sprache der Wissenschaft so übersetzt wird, dass sie auch von Nichtwissenschaftlern nachvollzogen werden kann. In diesem Sinne sind Sie als Präsidenten und Vertreter Ihrer nationalen Akademien auch Brückenbauer in die Gesellschaft hinein. Denn wir können bei den vielen Aufgaben, die wir zu lösen haben, von wissenschaftlichen Erkenntnissen nur profitieren. Das gilt für das Thema Gesundheit genauso wie für andere Themen wie Digitalisierung, Klima- und Umweltschutz, Bekämpfung der Armut, die Stärkung von Frauen und die G20-Partnerschaft mit Afrika. All das ist entscheidend für die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung.

Wir haben die Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung bis 2030 verabschiedet. Ein Thema, das in der Agenda 2030 eine zentrale Rolle spielt, ist das Thema Gesundheit. Die Vereinten Nationen sagen in ihrer Nachhaltigkeitscharta, dass jeder Mensch auf der Welt ein Anrecht auf vernünftige gesundheitliche Betreuung hat. Schwere Krankheiten sind natürlich erst einmal für Betroffene und ihre Angehörigen ein herber Schicksalsschlag. Viele Krankheiten führen auch zu lebensbedrohlichen Situationen oder sogar zum Tod. Aber wie Professor Hacker es schon sagte: Es gibt nicht nur individuelle Auswirkungen; Krankheiten können auch ganze Regionen wirtschaftlich verwüsten. Sie können soziale Spannungen hervorrufen, sie können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Deshalb ist die Agenda 2030 nicht umsonst eine Agenda, die dem Thema Gesundheit sehr hohe Wertschätzung einräumt.

Wir haben, wie ich schon sagte, bereits im G7-Prozess die Wissenschaftsakademien dabei gehabt und Gesundheitsfragen in den Mittelpunkt gestellt. Wir wissen – ganz besonders auch durch die Ebola-Krise –, dass gesundheitliche Fragen sehr schnell und unverhofft zu einem globalen Thema werden können. Menschen reisen heute, in Zeiten der Globalisierung, von einem Ort zum anderen – und die Krankheitserreger mit ihnen. Der Präsident der Weltbank, selber ein Mediziner, weist immer wieder auf Folgendes hin: Wenn wir noch einmal eine Pandemie von der Sorte der Spanischen Grippe bekämen, wie wir sie Anfang des 20. Jahrhunderts hatten, dann würde die Welt bei der Intensität der Vernetzung, wie wir sie heute haben, sehr schnell in einen sehr, sehr schwierigen Zustand kommen.

Deshalb gehört ein Thema wie Gesundheit auf die Agenda der G20. Vielleicht ist es ein großer Aufwand, den man deshalb treiben muss. Aber ich hoffe, Sie haben am gegenseitigen Kennenlernen auch Freude gehabt. Ich danke natürlich für das Kommuniqué, in dem Sie sich mit den Themen beschäftigen, die uns eben besonders beschäftigen.

Herr Professor Hacker, ich stimme Ihnen zu: Das A und O sind starke Gesundheitssysteme vor Ort, um dem Ausbruch von Epidemien vorzubeugen. Viele Epidemien könnte man lokal begrenzen, wenn die Gesundheitssysteme nachhaltig und stabil wären. Das ist eine Aufgabe, die vor allem viele ärmere Länder betrifft. Wer sich nur einmal den afrikanischen Kontinent anschaut, der weiß, welch großes Stück Arbeit noch vor uns liegt.

Deshalb setzt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit schon seit Jahren genau an diesem Punkt an. Allein in Afrika stellen wir bis 2020 rund 600 Millionen Euro bereit, um Gesundheitssysteme zu verbessern. Allerdings füge ich auch hinzu: Gerade in der Kooperation mit Afrika gehört auch immer eine gute Regierungsführung dazu, damit die Mittel nicht sozusagen „unnachhaltig“ irgendwo stecken bleiben, sondern daraus nachhaltige Strukturen entstehen.

Wir haben außerdem zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation die Initiative „Gesunde Systeme – gesunde Leben“ ins Leben gerufen, die dazu dient, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wie wir Gesundheitssysteme nachhaltig stärken können. Ziel ist ein Handlungsrahmen mit konkreten Vereinbarungen, mit denen wir Länder bei ihren Anstrengungen für eine bessere medizinische Versorgung unterstützen. Ich werbe für dieses Projekt auch unter den G20-Partnern.

Im Kreis der G7 haben wir mehrfach – auch unter deutscher Präsidentschaft – über starke Gesundheitssysteme gesprochen. Im Jahr 2015, als wir Gastgeber waren, haben sich die G7-Staaten verpflichtet, mindestens 60 Staaten Hilfe anzubieten, um die internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO wirklich zu implementieren. Wir haben klare Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation, aber wir haben sie nicht überall eingeführt. Beim folgenden Gipfel im vergangenen Jahr in Japan haben wir dieses Ziel ausgeweitet. Auf der Liste stehen jetzt 76 Staaten, die wir beim Aufbau eines leistungsfähigen Gesundheitssystems unterstützen wollen. Die G7-Staaten tun dies. Natürlich brauchen wir auch die Eigeninitiative der betroffenen Regierung. Außerdem geht es natürlich auch immer darum, dass man die Maßnahmenumsetzung evaluiert. Ich darf sagen, dass wir eine solche Evaluierung in 30 Ländern schon abgeschlossen haben. Für weitere 30 Länder ist sie geplant.

Nationale Gesundheitssysteme zu stärken, ist das eine. Das andere ist, auch international für Notfälle gerüstet zu sein, wenn trotz Präventivmaßnahmen doch eine internationale Ausbreitung von Krankheiten stattfinden sollte. Hierbei geht es vor allem um Schnelligkeit. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist entscheidend. Medizinisches Personal, Material, mobile Labore müssen bei einer Krise rasch zur Stelle sein. Genügend Geld muss zur Verfügung stehen.

Einen Punkt will ich noch ergänzen; denn er ist sehr heikel. Die Weltgesundheitsorganisation ist so aufgebaut, dass sie regionale Vertretungen hat. Diese regionalen Vertretungen haben einen relativ autonomen Status. Das heißt, es gibt keine Befehlskette von der Chefin – wie wir jetzt haben – oder dem Chef der Weltgesundheitsorganisation und keine klare Meldepflicht, wenn etwas in einer Region passiert, sondern es ist weitgehend in das Ermessen der Regionalvertretungen gestellt, darüber zu berichten.

Nun gibt es natürlich so etwas wie eine Scham: Soll ich es, wenn ich in meiner Region eine sich anbahnende Pandemie feststelle, melden und damit sozusagen weltweiten Alarm auslösen mit all den Folgen, die das nach sich ziehen könnte – Einbruch des Tourismus, wirtschaftliche Folgen? Soll ich den Mut haben, mich bemerkbar zu machen, um größeren Schaden zu verhindern? In der Weltgesundheitsorganisation ist sehr viel darüber gesprochen worden. Die – sagen wir einmal – Selbstverpflichtungen wurden gestärkt. Ich bin relativ optimistisch, dass es in Zukunft besser funktionieren wird. Aber das ist natürlich ein sehr wichtiger Punkt. Denn um Alarm auslösen zu können, um eine Handlungskette anzufangen, brauche ich natürlich jemanden, der mir sagt, dass irgendwo etwas los ist – und zwar möglichst dann, wenn die Ausbreitung der Krankheit noch nicht allzu weit fortgeschritten ist.

Wir müssen auch für eine funktionierende Koordination sorgen. Deshalb kommt der Weltgesundheitsorganisation in zweifacher Hinsicht große Bedeutung zu. Sie muss die Organisation sein, aus der heraus wir die Information und die Bewertung bekommen. Sie kann sich dazu der Hilfe von Fachleuten bedienen. Außerdem muss es die Möglichkeit geben, eine Handlungskette für die internationale Staatengemeinschaft auszulösen.

Die Weltbank spielt in diesem Zusammenhang auch eine wichtige Rolle. Sie hat nämlich die Grundlage dafür geschaffen, dass sich ärmere Länder gegen Pandemierisiken versichern können. Das schafft die Möglichkeit, dass man in der Stunde der Not nicht allein mit einem riesigen Posten dasitzt, da eine solche Versicherung es erlaubt, von der Handlungskette, die wir noch aufbauen, Gebrauch zu machen. Zum Beispiel beteiligen sich Japan und Deutschland an diesem Notfallprogramm. Es gibt natürlich wie immer in der Wissenschaft riesige Diskussionen: Kann man sich gegen Pandemien versichern? Wer will das Risiko ausrechnen und bewerten? Wie lange kann es dauern, bis ich jemals in eine solche Lage komme? Es kann sehr lang dauern, bis der Schadensfall eintritt. Aber es kann dann sehr teuer werden, wenn der Schadensfall einmal eingetreten ist. All das sind wunderbare Themen; sie alle werden bearbeitet.

Ein breites Forschungsfeld tut sich auf, wenn es darum geht, wirksame Mittel zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu entwickeln. Auch mit Blick auf potenzielle Pandemien in Regionen, auf die unser Fokus bislang nicht unbedingt voll gerichtet war, sollten Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Sie wissen, wie lange das beim Impfstoff gegen Ebola gedauert hat. Wenn es sich um Masern gehandelt hätte, dann hätten wir ihn vielleicht schon viel früher gehabt. Wichtig ist also auch, fair zu sein und für die verschiedenen Risiken in der Welt ähnliche Möglichkeiten der Behandlung zu schaffen.

In Deutschland – das will ich hier einflechten –, haben wir uns besonders in den letzten Jahren der Gesundheitsforschung sehr stark angenommen. Ich habe neulich in Bonn ein Gesundheitsforschungszentrum für neurodegenerative Erkrankungen eröffnet. Wir haben zur Gesundheitsforschung ein Rahmenprogramm geschaffen, um gegen verschiedenste Erkrankungen gut gerüstet und in der internationalen Kooperation ein guter Partner zu sein.

Wir sehen aber, dass der Anreiz, in bestimmte Forschungsrichtungen zu gehen, auch geweckt werden muss. Dabei ist eine globale Betrachtung für uns alle von großer Bedeutung, um sich also nicht nur auf die Krankheiten zu konzentrieren, mit denen wir es in den Industrieländern zu tun haben, sondern auch andere Krankheiten in den Blick zu nehmen. An dieser Stelle möchte ich auf die sogenannten vernachlässigten, oft tropischen Krankheiten hinweisen, die schon während unserer G7-Präsidentschaft ein Thema waren. Das Forschungsengagement dafür scheint sich an manchen Stellen gar nicht zu lohnen. Wenn man aber bedenkt, dass bis zu einer Milliarde Menschen von solchen Krankheiten betroffen sein könnten, dann merkt man, dass das eine riesige Sache ist.

Ich begrüße deshalb auch ausdrücklich, dass zu Beginn dieses Jahres – der Startschuss fiel in Davos – eine Initiative gestartet wurde, die sogenannte „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“, abgekürzt CEPI, mit der die Erforschung und Entwicklung neuer Mittel vorangebracht wird. Mehrere Staaten, Stiftungen und Unternehmen bringen sich hier ein. Auch Deutschland beteiligt sich an dieser Public-Private-Partnership mit zehn Millionen Euro.

Herr Professor Hacker hatte schon darauf verwiesen, dass auch die Entwicklung neuer Antibiotika sowie Antibiotikaresistenzen ein riesiges Thema sind. Wir drohen, in manchen Bereichen wieder zurückzufallen, weil Antibiotika, die wir schon einmal erforscht hatten, wegen Resistenzen nicht mehr die gewünschte Wirkung zeigen. Deshalb ist das Thema eine der Säulen unseres Gesundheitsengagements in der G20.

In der G7 haben wir Einigkeit darüber erzielt, dass wir uns auf den sogenannten One-Health-Ansatz stützen sollten. Das heißt, es gibt die eine Gesundheit, die Menschen und Tiere gleichermaßen betrifft. Das heißt, die Lebensmittel, die wir als Menschen zu uns nehmen, nehmen wir unter die Lupe und schauen, wie sie entstanden sind und welche Antibiotika es für die Tiere gab, die wir verzehren.

Die Agrarminister des G20-Formats haben bereits getagt und sich zu dem Ziel bekannt, dass Antibiotika in der Tiermedizin ausschließlich für therapeutische Zwecke verwendet werden dürfen und nicht mehr zum Zweck der Wachstumsförderung. Aber man muss sagen, dass die Definition des therapeutischen Zwecks eine spannende Sache ist, weil zum Beispiel die Frage, wie viel Platz Hühner oder Küken in ihren Ställen haben, mit darüber entscheidet, ob man Antibiotika geben muss, um Krankheiten zu verhindern, oder ob man auf Antibiotika verzichten kann, weil der Platz groß genug ist. Wir sollten uns sehr gut überlegen, wie hoch der Preis ist, den wir zahlen, wenn es eine Resistenz gegen ein Antibiotikum gibt und wir nicht so einfach neue Antibiotika finden. Ein Erfolg in der Antibiotikaforschung in der pharmazeutischen Industrie – ich bin natürlich keine Spezialistin, habe mir das aber einmal angeschaut; Sie alle hier sind ja Fachleute – ist wie ein Fünfer oder wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Das kann man sich nicht einfach vornehmen. Der Erfolg liegt nicht auf der Straße.

In diesem Jahr haben nicht nur Sie aus den Wissenschaftsakademien sich getroffen, sondern wir haben auch zum ersten Mal eine Gesundheitsministerkonferenz auf der Ebene der G20, um das, was Sie uns hier sagen, noch einmal fachlich gut zu beurteilen. Wir haben die Gesundheitsminister auch darum gebeten, zum ersten Mal eine Simulation eines Ausbruchs einer Pandemie – eine Art Trockenübung – durchzuführen und Aktionspläne zu beschreiben. Wir machen ja zu Hause bei uns, national, für alles und jedes immer wieder Übungen, wie wir im Katastrophenfall agieren sollen. Aber global kennen wir solche Übungen nicht, was dazu geführt hat, dass die effizientesten Helfer gegen Ebola militärische Einheiten waren, weil sie mit klaren Befehlsketten und klaren Möglichkeiten handeln konnten, während die zivilen Strukturen überhaupt nicht darauf vorbereitet waren: Wer transportiert, wer schafft die Medikamente herbei, wie ist die Befehlskette, wer baut Krankenhauskapazitäten aus? Es gab ziemlich unterschiedliche Ansätze. Insofern wollen wir uns besser auf Krisenfälle vorbereiten.

Den Staats- und Regierungschefs soll sozusagen eine Kurzversion der Simulationsübung präsentiert werden. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie theoretisch oder wie anschaulich die Sache wird. Ich schaue meinen Sherpa immer ganz gespannt an, wenn mir was präsentiert wird. Aber es sollte so sein, dass wir als Staats- und Regierungschefs das auch verstehen können, was uns präsentiert wird. Denn daraus erwachsen Handlungsempfehlungen, die wir in unseren Regierungen vorbereiten können.

Ich halte dieses Thema wirklich für außerordentlich wichtig. Deshalb möchte ich Ihnen noch einmal ganz herzlich dafür danken, dass Sie sich dem gemeinsamen Unterfangen gestellt haben. Ich hoffe, dass es auch für Sie bereichernd war. Für uns ist es das auf jeden Fall. Herzlichen Dank, Herr Professor Hacker, auch an Ihre Kollegen.

Ich habe noch eine Sache vergessen. Wir haben gesehen, wie schlecht es funktionierte, die Ebolakrise zu bewältigen. Wir haben uns dann überlegt, welche Lehren daraus zu ziehen sind – lessons learned from Ebola. Wir haben gedacht, das könnten nur die Vereinten Nationen voranbringen; die Weltgesundheitsorganisation gehört ja zu den Vereinten Nationen. Dann haben erst einmal drei Staaten – Deutschland, Ghana und Norwegen – eine Bitte an den UN-Generalsekretär formuliert, dass man sich mit der Frage befassen soll. Der UN-Generalsekretär hat daraufhin drei andere Staaten beauftragt, Handlungsempfehlungen zu erstellen. Das war etwas seltsam. Ich habe gesagt: Ich höre ja gar nichts mehr davon, weil jetzt drei andere Länder damit befasst sind. Die internationale Staatengemeinschaft ist groß, aber wir durften unsere Experten im zweiten Panel wieder einbringen. Dann wurden die Handlungsempfehlungen an den UN-Generalsekretär übergeben. Er hat daraufhin einen speziellen Verantwortlichen benannt, der das zusammen mit der WHO weiter betreut. Schließlich hat das sozusagen einen Weg in den Mechanismus der Vereinten Nationen gefunden. Damit hat man das Thema offiziell gemacht; und damit hat es auch in der UN seine Bedeutung. Jetzt darf man es nur nicht aus den Augen verlieren.