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Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim G20-Dialogforum Frauen (W20) am 26. April 2017 in Berlin

Anfang 26.04.2017

Sehr geehrte Frau Küppers,
sehr geehrte Frau Bschorr,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Schwesig,
meine Damen und Herren,

nun nähern wir uns dem Ende des G20-Dialogforums der Frauen. Natürlich bin ich sehr gespannt, liebe Frau Bschorr und liebe Frau Küppers, was ich nachher an Empfehlungen bekomme, die dann – wenigstens in wesentlichen Teilen – in die Beratungen zu unserem G20-Gesamtkommuniqué einfließen sollen. Das bedeutet, dass unsere Verhandlungen mit den Sherpas der verschiedenen Teilnehmerländer so geführt werden müssen, dass wir Einigkeit erzielen. Denn in der G20 kann immer nur das beschlossen werden, womit alle Länder einverstanden sind.

Deshalb bitte ich Sie, dass Sie als diejenigen, die aus den 20 und mehr Teilnehmerländern gekommen sind, nach diesem Gipfel der Frauen nicht die Hände in den Schoß legen, sondern auch in Richtung Ihrer Regierungen dafür eintreten, dass die jeweiligen Vertreter Ihrer Regierungen in den Sherpatreffen bereit sind, sich der Frauenagenda gegenüber weiter positiv zu zeigen.

„Shaping an interconnected world“ – das ist das Motto, das wir gewählt haben. Wir haben dieses Motto gewählt, weil der Veranstaltungsort des G20-Gipfels, Hamburg, mit seinem Hafen ein Schifffahrtsknotenpunkt ist, der zeigt, wie sehr wir miteinander vernetzt sind. Da gehören natürlich die Anliegen der Frauen dazu.

Politik findet ja nicht im luftleeren Raum statt. Ein Vorwurf gegenüber der G20 ist ja sehr häufig: Da treffen sich nur Politiker und bereden irgendetwas untereinander. Deshalb haben wir auf den zivilgesellschaftlichen Prozess sehr viel Wert gelegt. In diesem Zusammenhang sind die letzten beiden Tage, an denen die Frauen getagt haben, sicherlich sehr wichtig gewesen. Ich habe bereits die Empfehlungen der Wissenschaftler. Ich werde noch die Empfehlungen der „business people“ und der Gewerkschaften bekommen. Wir werden auch noch ein Jugendmeeting und ein Meeting mit den NGOs haben. So werden also verschiedene Gruppen der Gesellschaft ihre Forderungen mit einfließen lassen.

Ich freue mich sehr, dass, wie ich eben erfahren habe, die W20 auch bei den L20 – also bei „Labour“, bei den Arbeits- und Sozialpolitikern – und bei den Businessvertretern zu Gast sein werden, sodass das, was Frauen bewegt und was wir ja gleich auch wieder diskutieren werden, auch auf diesen beiden anderen zivilgesellschaftlichen Foren eine Rolle spielen wird. Damit sind wir natürlich schon wieder einen Schritt hin zur Core-Agenda gekommen; das ist schon einmal ein Fortschritt.

Wir arbeiten in der G20 in einer Troika zusammen. Das heißt: Vor uns war der Gastgeber China, nach uns wird der Gastgeber Argentinien sein; wir haben schon sehr vieles von der chinesischen Agenda übernommen und werden natürlich auch versuchen – und ich werde daher auch noch vor dem G20-Treffen nach Argentinien fahren –, vieles in Argentinien einzuspeisen, da wir Kontinuität brauchen. Weil es dicke Bretter sind, die wir zu bohren haben, brauchen wir diese Kontinuität in besonderer Weise.

Wir haben darüber gesprochen – und werden das heute noch einmal aus neuem Blickwinkel tun –: Die politische und auch die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen entspricht noch nicht ihrem Anteil an der Gesellschaft. Deshalb war dies auch die erste frauenpolitische Frage, die wir in Brisbane 2014 aufgenommen haben. Wir haben gesagt: Wir wollen den Gender-Gap überwinden. Heute sind nur 50 Prozent der Frauen weltweit erwerbstätig, bei den Männern sind es 76 Prozent. Diese Lücke wollen wir bis 2025 schließen. Wenn wir die Jahre von 2014 bis 2017 in den Blick nehmen, sehen wir: In Deutschland hat sich die Frauenerwerbstätigkeit erhöht. Das hat sehr viel mit dem Ausbau von Kinderbetreuung und der Verfügbarkeit von Kinderbetreuung zu tun. In anderen Ländern muss das aber noch fortgesetzt werden.

Wir haben über Unternehmertum gesprochen und werden das gleich noch einmal tun. Ich kann nur das unterstreichen, was die Ministerin eben gesagt hat. Auch bei uns ist es nicht einfach, Zugang zu Krediten zu bekommen und die Geschäftsmodelle, die sich Frauen überlegen, anerkannt zu bekommen, weil diejenigen bei den Banken, die das begutachten, oft Menschen männlichen Geschlechts sind und sich das Erfolgsmodell des Geschäfts manchmal gar nicht richtig vorstellen können. Deshalb ist es so wichtig, dass auch in den Banken – das haben wir gestern auch bei der Vertreterin der Bank of America gesehen – Frauen sitzen, die dann auch darüber entscheiden, wann es Zugang zu Finanzierungsquellen gibt.

Wir haben es eben schon gehört: Morgen ist der Girls’ Day. Ich habe schon heute im Kanzleramt junge Mädchen aus einer 9. Klasse empfangen. Wir haben über die Berufswahl gesprochen. Jedes Jahr gibt es eine Preisfrage. Die Klasse, deren Schülerin die Preisfrage gewinnt, wird zu einer bestimmten Besichtigungstour eingeladen. Diesmal war die Frage, wie viele Frauen anteilsmäßig im letzten Wintersemester in Deutschland begonnen haben, Ingenieurwissenschaften zu studieren. Hätte ich teilgenommen, hätte ich gewonnen. Ich hatte nämlich, ohne die Antwort zu wissen, 25 Prozent gesagt. Es sind 24,7 Prozent. Aber natürlich hat eine der Schülerinnen gewonnen. Sie hatte 23 Prozent gesagt. Es war übrigens ein Mädchen, das erst seit eineinhalb Jahren in Deutschland ist, als syrisches Flüchtlingskind zu uns kam und jetzt für seine Klasse schon den ersten Preis eingeheimst hat; auch eine schöne Sache.

Es gibt auch immer einen Parcours, auf dem die Mädchen technische Berufe kennenlernen. Dabei engagiert sich eine Unternehmensinitiative in Deutschland, die Initiative D21, sehr. Dabei habe auch ich heute eine ganze Menge lernen können, was es gerade im digitalen Bereich an Berufsausbildungsmöglichkeiten gibt. Wir sehen in Deutschland, dass klassischerweise für Mädchen scheinbar nur wenige Berufe infrage kommen, weshalb es sehr, sehr wichtig ist, schon in der Schule den Blick zu weiten und zu sagen, was alles an Möglichkeiten es eigentlich gibt.

Aber das heißt natürlich erst einmal: Zugang zu Grundbildung bei Mädchen. Ich weiß zum Beispiel aus unserer Migrationspartnerschaft mit dem sehr armen Land Niger, wie schwierig es in einigen Ländern ist, Mädchen überhaupt den Zugang zur Schule über das zehnte Lebensjahr hinaus zu gewährleisten. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Lebensplanung, auch auf die Frage, wann man heiratet, wie viele Kinder man hat und wie das Bevölkerungswachstum in dem Land ausfällt. Das heißt, wir haben noch sehr, sehr viel zu tun und müssen uns gerade auch um die Schwellen- und Entwicklungsländer kümmern. Der gesellschaftliche Fortschritt in diesen Ländern ist umso besser, je mehr wir Mädchen und Frauen in diesem Wandlungsprozess mitnehmen.

Es gibt also sehr viel zu tun. Wir müssen uns überlegen, wie wir vielleicht auch eine Sprungentwicklung schaffen. Das kann gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern der Fall sein, weil hier die digitale Entwicklung Möglichkeiten eröffnet – das haben wir gestern in den Panels schon gehört –, an Informationen und auch an Geschäftsmodelle heranzukommen, was man sonst ohne die Möglichkeiten der Digitalisierung oder des Smartphones gar nicht schaffen kann.

Deshalb haben wir bei W20 ein Thema in den Mittelpunkt gestellt, das wir hier noch nicht so deutlich erwähnt haben. Das ist das Thema „#eSkills4Girls“. Es geht um drei Barrieren, die zu überwinden sind. Erstens geht es darum, dass Mädchen im Schulalter digitale Kompetenzen erwerben. Zweitens geht es um sichtbare Vorbilder – auch das ist ganz wichtig. Drittens brauchen wir innovative Ideen, wie wir Frauen auch in der digitalen Welt stärken können.

In einem Monat, am 26. Mai, findet in Taormina in Italien der nächste G7-Gipfel statt. Auch bei G7, bei den Industrieländern, haben wir einen Schwerpunkt „Frauen“. Wir wissen sehr genau, dass wir auch in diesen Ländern noch nicht da sind, wo wir hinwollen. Wir versuchen auch, von der deutschen G7-Präsidentschaft viele Themen in die G20 einzubringen und eine Parallelität zu erreichen. Deshalb hoffe ich, dass auch der G7-Gipfel in Italien ein guter Beitrag zur Arbeit in der G20 wird.

Ich freue mich jetzt auf die Diskussion und bin natürlich sehr gespannt auf das, was ich dann als Arbeitspaket auf die Hand bekomme. Ich darf Ihnen versprechen: Ich werde das motiviert angehen und versuchen, möglichst viele meiner Kollegen und Kolleginnen zu überzeugen. Herzlichen Dank.